Vorratsdatenspeicherung: Deutschland nicht EU-konform

Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland sind Verbraucherschützern und Providern schon lange ein Dorn im Auge. Die Deutsche Telekom und das Münchner Unternehmen Spacenet klagen sich bereits seit fünf Jahren durch verschiedene Instanzen. Anfang September 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die in Deutschland angewandte Vorratsdatenspeicherung gekippt. Ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ab sofort unzulässig?
Vorratsdatenspeicherung: Deutschland nicht EU-konform
© karnizz
Erstellt von Dietmar vor 6 Monaten
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Was versteht man unter Vorratsdatenspeicherung?

Vorratsdatenspeicherung ist ein Thema, das in Deutschland in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt hat. Doch was genau ist darunter zu verstehen? Die Vorratsdatenspeicherung beschreibt per Definition eine Praxis, bei der Telekommunikationsunternehmen und Internetdienstanbieter verpflichtet werden, bestimmte Daten ihrer Kunden für einen festgelegten Zeitraum zu speichern.

Die Idee hinter der Vorratsdatenspeicherung-Verordnung ist es, Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf diese Daten zu ermöglichen, wenn diese für Ermittlungen benötigt werden. Dies kann besonders nützlich sein, wenn es darum geht, schwere Verbrechen aufzuklären oder terroristische Aktivitäten zu verhindern. Allerdings gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Datenschutzrichtlinien und der Privatsphäre der Bürger.

Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht zum ersten Mal verfassungswidrig

In Deutschland hat die Vorratsdatenspeicherung per Gesetz eine wechselvolle Geschichte. Sie wurde erstmals 2007 im Gesetzbuch verankert. Bereits 2010 allerdings die der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegende Verordnung vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt mit der Begründung, sie sei verfassungswidrig. Nach einigen Anpassungen wurde das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland 2015 erneut eingeführt, aber 2016 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt. Vorstöße zu einer Änderung blieben bis dato fruchtlos.

Welche Gesetze und Verordnungen regeln die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland?

Die Vorratsdatenspeicherung wird aktuell vom Telekommunikationsgesetz (TKG) gestützt. Dieses Gesetz bildet die Grundlage für die Speicherung von Telekommunikationsdaten. Es legt fest, welche Daten von Telekommunikationsanbietern gespeichert werden müssen und für welchen Zeitraum.

Zusätzlich gibt es die "Verordnung zur Vorratsdatenspeicherung", die detailliertere Regelungen zur Umsetzung der Speicherpflichten enthält. Sie legt beispielsweise technische und organisatorische Anforderungen an die Datenspeicherung fest und regelt die Zugriffsrechte von Sicherheitsbehörden.

Bestandteile der Vorratsdatenspeicherung waren laut Gesetz bisher unter anderem:

  • Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten ihrer Kunden durch Provider für die Dauer von zehn Wochen
  • Speichern von Rufnummern beteiligter Anschlüsse
  • Speichern von Beginn und Ende der Verbindung oder Internetnutzung
  • Aufzeichnung der Zeitpunkte des Versendens und Empfangens von Kurznachrichten
  • Speicherung von Internetprotokoll-Adressen und Benutzerkennungen
  • Speichern von Standortdaten für einen Zeitraum von vier Wochen

Was ist die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland?

Die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland steht in der Kritik. Und das praktisch seit ihrer Einführung. Während Befürworter die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung bei der Strafverfolgung schwerer Verbrechen und terroristischer Aktivitäten betonen, gibt es divers datenschutzrechtlichen Bedenken bis hin zu grundlegenden Fragen der Verhältnismäßigkeit.

Eingriff in die Privatsphäre

Ein Hauptkritikpunkt ist der Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. Durch die Speicherung von Telekommunikationsdaten wird ein umfassendes Bild der Kommunikationsgewohnheiten, Bewegungen und Interessen einer Person erstellt. Dies wird als unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre angesehen, insbesondere da die Vorratsdatenspeicherung aktuell ohne konkreten Anlass oder Verdacht erfolgt.

Verletzt die Vorratsdatenspeicherung die Grundrechte?

Vorratsdatenspeicherung und Grundrechte sind ein weiterer zentraler Kritikpunkt. Kritiker argumentieren, dass die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Telekommunikationsgeheimnis verstößt.

Potenzieller Missbrauch

Es gibt Bedenken, dass die gesammelten Daten für andere Zwecke missbraucht werden könnten, sei es durch staatliche Stellen oder durch Dritte, die unrechtmäßig Zugriff auf die Daten erhalten.

Effektivität von Vorratsdatenspeicherung bei der Strafverfolgung

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage der Effektivität. Es gibt Zweifel daran, ob die Vorratsdatenspeicherung in der Strafverfolgung tatsächlich zu einer höheren Aufklärungsrate von Straftaten führt. Einige Studien haben gezeigt, dass Länder ohne Vorratsdatenspeicherung ähnliche oder sogar bessere Aufklärungsraten haben.

Kosten und Aufwand

Die Implementierung und Aufrechterhaltung der Vorratsdatenspeicherung verursacht erhebliche Kosten, die letztlich von den Telekommunikationsanbietern und indirekt von den Verbrauchern getragen werden.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung?

Bereits am 20. September 2022 hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorratsspeicherung in Deutschland als unzulässig im Hinblick auf die Gesetzgebung der EU erklärt. Im Zuge dessen wurde vom Gericht entschieden, dass die anlasslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten von Telekommunikationsunternehmen gegen die Grundrechte auf Privatsphäre und auf Datenschutz verstößt.

Die Bundesregierung wollte in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung das Gesetz jedoch nicht ändern. Vertreten durch die Bundesnetzagentur zog sie in einer Revision gegen das Bundesverwaltungsgericht. Dies hat jetzt in höchster Instanz entschieden, dass das aktuell zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland bestimmte Gesetz „unvereinbar“ mit der Datenschutzrichtline der EU ist.

Hauptkritikpunkt war unter anderem, dass „eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsdatenspeicherung“ einen klaren Verstoß gegenüber der in der EU zur Vorratsdatenspeicherung erlassenen Verordnung darstellt. Dabei hat das Wort „anlasslos“ besonderes Gewicht. Die Richter erklärten zwar, dass die Vorratsdatenspeicherung zur Strafverfolgung oder der Verhinderung terroristischer Aktivitäten prinzipiell zulässig sei, allerdings sei dies nicht im TKG definiert. Die Vorratsdatenspeicherung-Definition des Bundesverfassungsgerichts lautet mit einfachen Worten beschrieben: Es dürfen nicht einfach beliebig Daten aller Nutzer gespeichert werden, solange es keine klare Definition dazu gibt, nach welchen objektiven Kriterien der Strafverfolgung die Datenspeicherung erfolgen soll. Und diese Definition fehlt bisher im Gesetz.

Welche Folgen hat das EuGH-Urteil für die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland?

Da schon in den vergangenen Jahren ersichtlich war, dass in puncto Vorratsdatenspeicherung Deutschland die EU-Richtlinien nicht erfüllt, wurde das Gesetz von vielen Providern nicht so umgesetzt, wie es von der einstigen großen Koalition vorgesehen war. Das finale Urteil der höchsten Instanz des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das EuGH-Urteil hat jetzt endgültig dargelegt, dass deutsche Telekommunikationsunternehmen nicht mehr zur anlasslosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten verpflichtet sind. Verpflichtet ist jedoch die Bundesregierung. Sie muss ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das aktuell angepasst ist und den datenschutzrechtlichen Kriterien des Grundgesetzes und des Unionsrechts entspricht, auf den Weg bringen.

Welche Alternativen zur aktuellen Vorratsdatenspeicherung gibt es?

Zum aktuell gekippten Gesetz zur Vorratsspeicherung eine Alternative zu finden, auf die sich alle Parteien einigen können, dürfte nicht so einfach werden. Im Groben stehen verschiedene Konzepte zur Auswahl. Das sind zum Beispiel:

  • Vorratsdatenspeicherung zur Strafverfolgung

    Hierzu müssten im Gesetz konkrete Verdachtsmomente definiert, welche die Speicherung von Verkehrsdaten zur Verfolgung von schweren Straftaten und terroristischen Bedrohung ermöglichen.

  • Quick Freeze – Regelung

    Das Quick Freeze Verfahren soll die Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung schwerer Straftaten unterstützen, ohne die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz unverhältnismäßig zu beeinträchtigen. Im Großen und Ganzen steckt hinter dem Konzept die Speicherung einzelner Nutzer für einen kurzen Zeitraum. Ausschlaggebend zur Anwendung ist ein konkreter Anfangsverdacht. Diese Regelung unterscheidet sich von der Vorratsdatenspeicherung, wie sie aktuell definiert ist, da es sich nur um die Daten weniger Nutzer handelt und nicht um die Daten aller Nutzer handelt.

  • Die Login-Falle

    Die Login-Falle ist ein Verfahren, das es Strafverfolgungsbehörden ermöglichen soll, IP-Adressen von Nutzern zu ermitteln, die sich mit einem bestimmten Account angemeldet haben. Das Verfahren wurde von dem digitalpolitischen Thinktank D64 erstellt. Es gilt als gute Vorratsdatenspeicherung-Alternative. Allerdings kann es nur bei Diensten Anwendung finden, die zum Zugriff auf einen Account eine Anmeldung erfordern.

Die Diskussionen über ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland werden innerhalb der Ampel-Regierung bereits seit letztem Herbst eifrig geführt. Konkrete Pläne für eine neue Regelung gibt es derzeit noch nicht.

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